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🎬 Essay

Warum Kinos mehr denn je
gebraucht werden

Ein Plädoyer für die Leinwand – und gegen das Vergessen dessen, was Film eigentlich bedeutet

✍️ Tribun 📅 14. December 2025 ⏱️ 8 Min. Lesezeit

Das Licht geht aus. Jemand raschelt noch mit der Popcorn-Tüte, irgendwo kichert ein Pärchen. Dann: Stille. Der Vorhang öffnet sich, das Logo erscheint, und für die nächsten zwei Stunden existiert die Welt da draußen nicht mehr.

Ich bin Jahrgang 1974. Mein erstes Kinoerlebnis war "E.T." – ich war acht, und ich hab geheult wie ein Schlosshund. Nicht heimlich. Laut. Und das Verrückte? Um mich herum haben andere auch geheult. Wildfremde Menschen. Wir saßen da in der Dunkelheit und haben zusammen etwas gefühlt, das keiner von uns alleine hätte fühlen können.

Dieses Gefühl stirbt gerade. Langsam, leise, und die meisten merken es nicht mal.

📉 Die Zahlen, die niemand hören will

88,5 Mio
Kinobesuche 2024
-10% vs. 2023
39,7
Jahre Durchschnittsalter
Tendenz steigend
1.744
Kinos in Deutschland
Stand 2023

[Quelle: FFA Filmförderungsanstalt, Kinojahr 2024]

Warum ist das Kino mehr als nur ein Ort?

Kino ist das einzige Medium, das dich zwingt, dich hinzusetzen und aufzupassen. Kein Handy, keine Pause, kein "ich schau später weiter". Du sitzt da, im Dunkeln, mit Fremden, und ihr alle seht dasselbe zur selben Zeit. Ihr lacht zusammen. Ihr erschreckt zusammen. Ihr seid für zwei Stunden eine Gemeinschaft.

Eine Studie der FFA hat gezeigt, dass Emotionen wie Faszination, Freude und Überraschung im Kino intensiver erlebt werden als zu Hause [Quelle: GfK/FFA Studie 2023]. Das überrascht mich nicht. Als ich 2019 "Parasite" im Kino gesehen hab, hat der ganze Saal bei einer bestimmten Szene laut aufgekeucht. 150 Menschen, gleichzeitig. Das vergisst du nicht.

Zu Hause? Zu Hause hätte ich aufs Handy geschaut. Oder kurz pausiert. Oder die Szene zurückgespult, weil ich abgelenkt war. Die Magie wäre weg gewesen, bevor sie überhaupt entstanden ist.

"Der Klang ist intensiv, die Bilder überwältigend groß, und man ist nicht allein. Menschen lachen, erschrecken, weinen zusammen. Diese kollektive Erfahrung verleiht dem Kino seine emotionale Tiefe."

— Kino&Co, 2024

Aber Streaming ist doch praktischer?

Ja. Und genau da liegt das Problem.

Streaming ist fantastisch, keine Frage. Ich hab selbst Netflix, Disney+, Prime – das volle Programm. Aber was passiert da? Ich scrolle durch tausend Thumbnails, entscheide mich für irgendwas, und nach zehn Minuten greife ich zum Handy. Oder ich pausiere, weil der Hund raus muss. Oder ich schlafe ein, weil's bequem ist.

Film wird zu Hintergrundgeräusch. Zu Content, der konsumiert wird wie Fast Food – schnell, nebenbei, austauschbar. Der Algorithmus entscheidet, was ich sehe. Nicht ich. Nicht ein Kurator, der weiß, was gut ist. Ein Algorithmus.

Das Kino verlangt etwas von dir. Zeit. Aufmerksamkeit. Die Entscheidung, das Haus zu verlassen. Das macht einen Unterschied. Ein Film, für den du 12€ bezahlst und 2 Stunden deines Lebens investierst, ist ein anderer Film als einer, den du nebenbei auf dem Tablet guckst.

🚨 Kinoschließungen 2025

Cinemaxx Dresden – Dresden März 2025
Filmtheater Sendlinger Tor – München Januar 2025
UCI Othmarschen – Hamburg 2025

Das Filmtheater am Sendlinger Tor in München hat jahrelang gekämpft – vor Gericht, in der Öffentlichkeit. Im Januar 2025 war Schluss. Ein weiteres Stück Kinogeschichte, weg. Einfach so.

Gibt es noch Hoffnung für das Kino?

Ja. Und sie kommt von einer unerwarteten Seite.

Während die großen Multiplexe kämpfen, passiert bei den kleinen Programmkinos etwas Interessantes: Sie wachsen. Die FFA-Zahlen zeigen: Während der Ticketverkauf insgesamt um 6% zurückging, legten Programmkinos um 12% zu. Der Umsatz sogar um 40% [Quelle: FFA Kinojahr 2024].

Was zeigt das? Menschen wollen kein Einheits-Multiplex mit überteuerten Nachos und dem neuesten Superhelden-Film. Sie wollen kuratierte Erlebnisse. Atmosphäre. Einen Ort mit Charakter.

Kleine Kinos mit 1-3 Sälen hatten sogar ein durchschnittliches Ticketplus von 4% [Quelle: FFA 2024]. Die Leute kommen zurück – aber sie wählen bewusster, wo sie hingehen.

💭 Ein Moment, den ich nie vergessen werde

2004, "Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs", Kinopolis Koblenz. Extended Edition. Über vier Stunden. Meine Frau (damals noch Freundin) hat mich überredet mitzukommen, obwohl sie vorher keinen der Filme gesehen hatte.

Als Sam am Ende sagt "Ich kann es nicht für dich tragen, aber ich kann dich tragen!" – da hab ich sie angeschaut. Tränen. Bei ihr, bei mir, bei halben Saal. Wildfremde Menschen, die nach dem Film noch im Foyer standen und geredet haben. Über Freundschaft. Über Aufgeben und Weitermachen. Über das, was der Film in ihnen ausgelöst hat.

Das passiert nicht auf der Couch. Das passiert nur, wenn Menschen zusammenkommen und gemeinsam etwas erleben, das größer ist als sie selbst.

Was können wir tun, um das Kino zu retten?

Hingehen. So simpel ist das.

🎟️ Einmal im Monat ins Kino

Nicht warten auf den "großen Film". Auch kleine Produktionen verdienen die Leinwand. Gerade die.

🏠 Programmkinos unterstützen

Die kleinen Lichtspielhäuser mit Charakter. Die, die kuratieren statt nur abzuspielen was gerade kommt.

👥 Menschen mitnehmen

Kino ist ein Gemeinschaftserlebnis. Nimm Freunde mit, Familie, Dates. Macht was draus.

📢 Drüber reden

Wenn ein Film dich berührt hat, erzähl davon. Empfehl ihn. Mach andere neugierig.

Mein Fazit: Warum ich weiter ins Kino gehe

Ich bin jetzt 50. Ich hab Tausende Filme gesehen – im Kino, auf VHS, auf DVD, auf Blu-ray, im Stream. Und wisst ihr was? Die Erinnerungen, die geblieben sind, das sind die Kino-Momente. E.T. mit acht. "Pulp Fiction" mit 20, als ich dachte, ich verstehe jetzt Film. "Der Pate" im Midnight-Screening, umgeben von anderen Fans, die jeden Dialog mitsprechen konnten.

Das Streaming hat meinen Film-Konsum vervielfacht. Aber meine Liebe zum Film? Die ist im Kino entstanden. Und da gehört sie hin.

Rettet die Leinwand. Nicht weil Kinos perfekt sind. Sondern weil sie uns etwas geben, das wir nirgendwo sonst bekommen: Die Chance, gemeinsam zu fühlen.

❓ Häufig gestellte Fragen

Warum sollte ich ins Kino gehen, wenn ich zu Hause streamen kann?

Weil das Kino eine Erfahrung bietet, die Streaming nicht replizieren kann: Gemeinschaft, Fokus und emotionale Intensität. Studien zeigen, dass Emotionen wie Faszination und Freude im Kino stärker erlebt werden als zu Hause.

Lohnt sich Kino bei den Ticketpreisen heute noch?

Ein Kinoticket kostet 10-14€ – etwa so viel wie ein Monat Netflix. Aber das Erlebnis ist unvergleichlich: große Leinwand, perfekter Sound, volle Konzentration, keine Ablenkung. Das ist Filmgenuss, kein Content-Konsum.

Stimmt es, dass Programmkinos wachsen?

Ja. Laut FFA-Bericht 2024 stieg der Ticketverkauf bei Programmkinos um 12%, der Umsatz sogar um 40%. Kleinere Kinos mit 1-3 Sälen verzeichneten ein durchschnittliches Plus von 4%.

Was kann ich tun, um mein lokales Kino zu unterstützen?

Hingehen – einmal im Monat reicht schon. Programmkinos bevorzugen. Freunde mitnehmen. Über Filme reden, die dich berührt haben. Snacks vor Ort kaufen (da verdienen Kinos am meisten).

Ist das Kinosterben wirklich so schlimm?

Die Besucherzahlen sanken 2024 um 10% auf 88,5 Millionen. Traditionsreiche Kinos wie das Filmtheater Sendlinger Tor (München) oder Cinemaxx Dresden schließen. Aber: Wer bewusst kleine, kuratierte Kinos unterstützt, kann etwas bewirken.

📚 Quellen & Referenzen
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Tribun

Jahrgang 1974. Schreibt seit 2010 über Filme. Erstes Kinoerlebnis: E.T. (1982). Seitdem nicht mehr vom Kino losgekommen. Wohnt in Koblenz, geht regelmäßig ins Kinopolis. Lieblingsfilm wechselt je nach Stimmung – aktuell: "Perfect Days".

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